
Alarmstufe Rot auch für die Wälder (Bild: Canva)
Wir haben im Moment alle Hände voll zu tun mit einer Pandemie, die uns einiges an Geduld und Beharrungsvermögen abverlangt. Es ist oft schwierig, in dieser Krise auch die Chance zu sehen. Wie gut wäre es doch, wenn wir uns alle auf gemeinsame Verhaltensweisen einigen und ausrichten könnten. Doch auch in andern Bereichen gilt „Alarmstufe Rot“. Oder wie es die Vereinten Nationen ausdrücken: „Earth’s biodiversity stands at a crossroads.“ Wir stehen an einem Scheideweg und müssen gemeinsam und entschieden handeln, um das Schlimmste abzuwenden.
Berichte im Wochentakt
In unsere schwierige (und besondere) Lage platzen fast schon im Wochentakt Berichte über den Schwund der Artenvielfalt. Ich habe drei von ihnen etwas genauer studiert. Es sind dies:
- der Global Biodiversity Outlook 5 der Vereinten Nationen,
- der Living Planet Report des WWF; dieser Bericht wird ausserdem von einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Nature begleitet, in welchem Forschende darstellen, wie sie in Szenarien vergleichen können, was die Kurve bzw. den Abwärtstrend abzulenken oder gar abzuwenden („to bend the curve“) vermag,
- ein Bericht zu den biodiversitätsschädigenden Subventionen in der Schweiz der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zusammen mit der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften.
Welche Punkte verbinden die drei Berichte:
- der Schwund der Artenvielfalt ist dramatisch,
- dafür sind viele Gründe verantwortlich (siehe weiter unten),
- Zielkonflikte und Fehlanreize verschärfen die Probleme noch,
- die Lage ist noch nicht hoffnungslos, aber sie muss sofort und mit einem Blick für die gegenseitige Abhängigkeit von Mensch und Natur angegangen werden.
Schwund der Artenvielfalt
Dies sind einige der wichtigsten Befunde der oben genannten Berichte:
- Laut dem Living Planet Index hat bei den Wirbeltieren – das sind Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien – von 1970 bis 2016 ein 68-prozentiger Schwund stattgefunden. Im Durchschnitt. Es gibt Unterschiede zwischen den jeweiligen Kontinenten.
- Tierarten, die in Süsswasser leben, verschwinden wegen der Wasserverschmutzung oder der Begradigung von Flüssen besonders schnell. Diese Woche gab es in die Schweiz die Schreckensmeldung, dass im Blausee hunderte von Forellen vermutlich wegen einer nahen Mülldeponie mit giftigem Rollsplitt von alten Bahngleisen verendet sind.
- Laut WSL/Akademien sind mehr als ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten und fast die Hälfte aller Lebensraumtypen in der Schweiz inzwischen gefährdet.
- Laut WWF ist das Aussterben von Pflanzenarten zweimal so hoch wie dasjenige von Säugetieren, Vögeln oder Amphibien.
Und so weiter. Diese Liste ist nicht abschliessend. Warum die Biodiversität für die Menschheit wichtig ist, lesen Sie hier.
Die Politiken, Modelle und Massnahmen sind bekannt
Die Vereinten Nationen und der WWF kommen zum Schluss, dass es nicht zu spät ist, den Schwund der Artenvielfalt zu verlangsamen oder den Trend gar umzukehren („To bend the curve“, heisst dieses Szenario, das im Gegensatz zum „Business as usual“-Szenario steht, bei dem noch mehr Vielfalt verloren geht).
- Die Vereinigten Nationen haben in der AICHI Biodiversitätskonvention, die von vielen Staaten unterschrieben wurde, einen Zeithorizont von 10 Jahren bis 2020 festgelegt, um auf nationaler Ebene Massnahmen umzusetzen. Die Konvention ist inhaltlich mit der 2030 Agenda for Sustainable Development Goals verknüpft, soll doch ein Drittel der Treibhausgase durch Natur-bezogene Massnahmen reduziert werden. Seither 2010 wird der Grad der Umsetzung regelmässig in sogenannten Biodiversity Outlooks der UN erhoben. Bisher wurden die zwanzig Ziele mehrheitlich nicht erreicht und nur in 6 Fällen teilweise erreicht. Offenbar gab es variierende Grade in der Übernahme der AICHI Ziele in die nationalen Strategien und damit eine eher schwankende Willigkeit der Nationen, die Ziele auch umzusetzen.
- Dem ist offenbar auch so für die Schweiz, wenn man dem Bericht der WSL und den Schweizerischen Akademien der Wissenschaften folgen will. Bis Ende dieses Jahres müsste die Schweiz biodiversitätsschädigende Subventionen abgeschafft oder zumindest deren negative Folgen minimiert haben. Dazu ist sie wie viele Staaten eigentlich völkerrechtlich verpflichtet. Die Strategie Biodiversität Schweiz von 2012 des Bundesrates hat zum Ziel, die negativen Auswirkungen solcher Förderungen zu identifizieren, ist nun aber eher spät dran, die Konsequenzen aus dem WSL-Bericht zu ziehen und umzusetzen.
Bending the curve
Der WWF hat in einem Verbund mit 40 Universitäten eine Methode entwickelt, um darzustellen, wie der aktuelle Stand der Artenvielfalt auf verschiedene Szenarien reagiert. Diese «bending the curve»-Initiative beschreibt Massnahmen, die den Verlust der Artenvielfalt verlangsamen oder gar umkehren können. Am erfolgversprechendsten sind dabei Szenarien, die verschiedene Elemente miteinander kombinieren.
Der WWF kommt zu folgendem Schluss: «Naturschutz ist entscheidend, aber nicht genug – wir müssen auch die Produktions- und Konsummuster von Nahrungsmitteln ändern.» Das heisst: Ehrgeizige Ziele beim Naturschutz sollten kombiniert werden mit dem Kampf gegen den Verlust von noch mehr natürlichen Lebensräumen mit Interventionen, die sowohl die Nahrungsmittelproduktion wie den -konsum nachhaltiger gestalten.
Und um nochmals auf die Pandemie zu sprechen zu kommen: Der Schwund der Artenvielfalt kann man in einen Bezug zu Covid-19 setzen. Dieses Virus stammt nach heutigem Wissen von Wildtieren ab, der auf den Menschen übergesprungen ist. Natur und Mensch sind sich in einem Mass näher gekommen und voneinander abhängig geworden, dass diese Beziehung für den Planeten wie auch uns mit Risiken verbunden ist. Diese Abhängigkeit sollte uns leiten und begleiten.
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